Verbraucherzentrale NRW verklagt das Internet

Die Verbraucherzentrale NRW hat das Bekleidungshaus Peek & Cloppenburg sowie das Rabattsystem Payback verklagt und außerdem einige weitere Unternehmen abgemahnt. Der Grund: Diese Firmen haben auf ihren Web-Angeboten „Like“-Buttons des Social-Networks Facebook platziert.

Die dpa berichtet, was die Verbraucherschützer stört:

Schon beim bloßen Aufrufen der Seite empfange das Online-Netzwerk automatisch Daten über das Surfverhalten des Kunden, kritisierten die Verbraucherschützer am Donnerstag in Düsseldorf.

Leider sagt die Agenturmeldung nicht, ob die Verbraucherzentrale NRW auch den Maschinenhersteller Kärcher verklagt hat oder den Treppenlifthersteller Hornbostel oder gar die Universität Suttgart. Diese haben zwar keine „Like“-Buttons von Facebook auf ihre Seiten geklebt, aber – so wie umpfzig Millionen weitere Webseiten-Anbieter – Karten aus dem „Maps“-Dienst des Web-Konzerns Google.

Die entsetzliche Wahrheit: Ein bloßer Aufruf der besagten Seiten lässt Google automatisch Daten über das Surfverhalten der Kunden empfangen. So eine eingebettete Karte verrät einem Kartenanbieter nämlich in etwa das Gleiche wie ein eingebetteter Button einem Buttonanbieter.

Vermutlich laufen also im Keller der Verbraucherzentrale NRW bereits die Serienbriefdruckmaschinen heiß, um Kärcher, Hornbostel, die Uni Stuttgart und die umpfzig Millionen weiteren Website-Anbietern schriftlich und kostenpflichtig aufzufordern, nicht mehr böse, amerikanische Konzerne mit den guten Daten anständiger deutscher Surfer zu füttern.

Bei dieser Gelegenheit geht vielleicht auch ein Exemplar der Abmahnbriefe an die Bundespartei der Grünen. Diese hat zwar keine Facebook-Like-Buttons und auch keine Google-Maps-Karten in ihre Webseiten eingebaut, dafür aber Youtube-Videos, und – Achtung, jetzt müssen wir alle ganz tapfer sein – ein bloßer Aufruf der besagten, durch Youtube-Videos angereicherten Seiten lässt Youtube (also Google) automatisch Daten über das Surfverhalten der Grünen-Interessenten empfangen. So ein eingebettes Video verrät dem Videoanbieter nämlich in etwa das Gleiche wie eine eingebettete Karte einem Kartenanbieter und ein eingebetteter Button einem Buttonanbieter.

Es geht aber noch lustiger, wie die SPD beweist: Die Regierungspartei, deren Chef böse amerikanische Internetkonzerne gerne zerschlagen möchte, bietet Bloggern und Website-Betreibern, die den Sozialdemokraten freundlich gesonnen sind, den Einbau des so genannten „SPD-Widgets“ an. Und das sieht dann so aus:

Wer diesen Text bis hierher aufmerksam verfolgt hat, ahnt es bereits: Der bloße Aufruf einer durch ein SPD-Widget verzierten Webseite – also beispielsweise der, auf der Sie sich gerade aufhalten – lässt den Anbieter (also in diesem Fall die um unser aller Datenschutz besorgte Regierungspartei SPD) automatisch Daten über das Surfverhalten der (in diesem Fall Sixtus.net-)Leser empfangen. So ein eingebettes SPD-Widget verrät der SPD nämlich in etwa das Gleiche wie ein eingebettetes Video einem Videoanbieter, eine eingebettete Karte einem Kartenanbieter und ein eingebetteter Button einem Buttonanbieter. Amüsant, dass die SPD plötzlich direkt neben Facebook und Google in der Datenschmuddelkinder-Ecke steht.

Aber nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich möchte hier gar nicht der SPD, den Grünen oder braven Treppenliftherstellern aus Essel im Heidekreis ans Bein pinkeln. Was ich vielmehr sagen möchte: Das, was die Verbraucherzentrale NRW für verklagens- und abmahnenswert erachtet, der Einbau von Drittanbieter-Webseitenfunktionalitäten, das gehört im Jahr 2015 so selbstverständlich und untrennbar zum Web wie (hier bitte irgendetwas mit Eifelturm und Paris, Stan und Ollie, Vodka und Kater usw. vorstellen).

Auf dieser Seite finden sich in der rechten Seitenleiste unter anderem Widgets von Flickr und Instagram, die beide meine zuletzt dort hochgeladenen Fotos als Thumbnails anzeigen – automatisch befüllt von den externen Bilderservices. Damit schaufelt diese Seite zwangsläufig auch Besucherinformationen in Richtung Flickr und Instagram. Das Web des Jahres 2015 ist eben dynamisch, es besteht nicht mehr aus statischen „Seiten“ (Papiermetapher), die in nächtelanger Handklöppelei mit dem HTML-Editor erbastelt und zusammen mit Bildchen, die man auf dem eigenen Rechner zurecht gesägt hat, per FTP auf den Server geschossen werden. Aber diese antike Praxis wäre nach dem Verständnis der Verbraucherzentrale NRW wohl die einzig datenschutzkonforme.

Und vielleicht will die Verbraucherzentrale NRW ja mittelfristig wirklich das ganze Web verklagen? Das wäre immerhin konsequent: Allerspätestens seit 1992, seit der Web-Browser Mosaic erstmals in der Lage war, Bilder direkt innerhalb einer Webseite darzustellen, ist es nämlich möglich, eine einzige Seite aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammenzusetzen, die alle erst beim Seitenaufruf von humpftata verschiedenen Servern geladen werden. Und seitdem: Dings, Seitenaufruf, Daten, Surfverhalten, Sie wissen schon.

Ich weiß nicht, ob sich die Verbraucherzentrale NRW wirklich ein Web in den Grenzen von 1991 zurück wünscht. Ich wünsche mir das jedenfalls nicht.

(Disclosure: Auf dieser Seite befinden sich Elemente aus den Häusern Facebook, Twitter, Instagram, Flickr, Google, Strava, Flattr sowie das erwähnte Widget der SPD, das lediglich zu Demonstrationszwecken auf dieser Seite klebt und eher kein Beleg dafür ist, das ich als Blogger oder Wasauchimmer den Sozialdemokraten freundlich gesonnen wäre.)

Nachtrag: Zum gleichen Thema kommt Carlo Pitz drüben bei „De Lege Data“ unter dem Titel „Abmahnung wegen Like-Button? Verbraucherschützer verstoßen selbst gegen das Datenschutzrecht“ zu dem Schluss:

Datenschutzrechtlich absolut konformes Handeln ist in der heutigen Zeit mit schnellen technologischen Entwicklungen, neuen Features für Webseiten und Analysediensten nur schwer möglich. Sowohl für Unternehmen, als auch für Verbraucherschützer.

Sag ich doch!

Nachtrag 2: In den Kommentaren weist jemand darauf hin, dass die Verbraucherzentrale NRW ebenfalls eine Google-Map in ihre Seiten eingebettet hat und somit fröhlich, heimlich und ungefragt Google-Cookies an ihre Besucher verteilt:

http://www.vz-nrw.de/link191960A

Ob die Verbraucherschützer sich nun selbst verklagen werden, stand bis Redaktionsschluss nicht fest.

Pyongyang timelapsed

Ja, man kann und man sollte sogar darüber debattieren, ob es okay ist, ein totalitäres System, das seinen Bürgern grundlegende Menschenrechte verweigert, derart ästetisch in Szene zu setzen wie es der britische Videokünstler Rob Witworth in obigem Fimchen tut; und auch das Auftauchen des Lieferwagens eines deutschen Paketdienstes gegen Ende erscheint mir ein wenig auffällig. Trotz alledem: Es ist ein fabulöses Stück Bewegtbild aus einem der unbekanntesten Länder der Erde, das Witworth gezaubert hat.

Über Fotografie, Kommunikation, dämliches Grinsen und den öffentlichen Raum

Sie sehen hier ein äußerst riskantes Dings: Foto von zwei unbekannten Menschen auf der Straße

„A to B“ nennt sich die kleine Fotoserie des Fotografen Espen Eichhöfer, die er 2013 anlässlich des Umzugs der Galerie c/o Berlin produzierte: Menschen am Bahnhof Zoo, Unterwegssein, Momente des Übergangs, die Großstadt als permanenter Transit. Ein schönes Projekt, das jetzt zum Auslöser eines Rechtsstreits wird, der nicht nur mal eben die Fotografie als Kunst- und Dokumentationsform gefärdet, sondern womöglich auch unser aller Möglichkeit, visuell  miteinander zu kommunizieren und obendrein auch noch unser Verständnis von Öffentlichkeit. Nein. Eine Nummer kleiner geht es nicht.

Wirklich, Herr Richter, der Mann lief mir einfach ins Bild. Was hätte ich denn tun sollen?

Usprünglich war das Foto einer Frau im Leopardenmantel Teil der „A to B“-Serie. Als die abgebildete Dame jedoch davon erfuhr, dass sie Objekt einer Fotoausstellung war, verklagte sie den Fotografen und die Galerie auf jeweils 4.500 Euro Schmerzensgeld. Das Landgericht Berlin lehnte die monetäre Forderung zwar ab, befand jedoch, dass Eichhöfer mit seinem Foto das Persönlichkeitsrecht der Frau verletzt hatte. Das Bild darf nun nicht mehr gezeigt werden.

Auch diese Dame wollte vermutlich nicht fotografiert werden. Zumindest entnehme ich das ihrem Blick. Im Dienste der Kunst habe ich ihren Wunsch jedoch ignoriert.

Mit diesem Urteil sehen viele Vertreter der Foto- und Kunstwelt das Genre der künstlerisch-dokumentarischen Straßenfotografie in Gefahr, denn die lichtet traditionell Menschen in ihrer natürlichen Umgebung ab.

Lutz Fischmann, Geschäftsführer des Fotografenverbandes Freelens sagt dazu in der Berliner Zeitung:

„Man kann sicherlich behaupten, dass alle wichtigen Fotografien der letzten 175 Jahre, auf denen Menschen abgebildet sind, ohne die notwendige Einwilligung der abgebildeten Personen entstanden sind. Es sind allesamt Ikonen der Fotografie – ohne sie wäre unsere Welt ärmer und wir würden viele Geschehnisse heute nicht mehr verstehen und darstellen können, hätten wir diese Fotos nicht.“

Eichhöfer in der gleichen Zeitung:

„Für nachfolgende Generationen wäre es dann nicht mehr möglich, zu sehen, wie das Leben auf der Straße 2015 aussah.“

Mit einem einzigen Schuss gleich drei Persönlichkeitsrechte verletzt. Aber: Wen hätte ich fragen sollen? Das Kind? Oder auf seine Eltern warten? In dieser Zeit wären natürlich die beiden Personen auf der Rolltreppe entwischt – aber das wären sie auch so. Kurz: Dieses Foto konnte nur unter Missachtung des geltenden Rechts entstehen.

„Frag doch vorher“ oder „frag doch hinterher“, lauten die beiden Standardratschläge, die einem unsichtbaren Fotografiedebattennaturgesetz folgend, immer wieder von irgendjemandem in den Raum geworfen werden. Sie sind beide nicht realisierbar. Der letztere aus praktischen Gründen nicht: In der Straßenfotografie gelangt man in der Regel nur über den Umweg der Quantität zur Qualität. Nach einem Fotografiertag auf der Straße kann es durchaus sein, dass man ein paar hundert Bilder auf der Speicherkarte mit nach Hause bringt, von denen man nach langwieriger Sichtung vielleicht ein oder zwei als einigermaßen gelungen betrachtet. Soll man als Fotograf also allen Ernstes vorsorglich hunderte von schriftlichen Verwertungsgenehmigungen einholen, inklusiver der damit verbundenen Erklärarbeit; all das für Fotos, die man dann sowieso niemals für irgend etwas verwendet?

Und warum der „Frag vorher“-Ratschlag nicht funktioniert, das versteht auch jeder Nicht-Quantenmechaniker: weil die Objekte der Beobachtung durch die Gewahrwerdung ebendieser ihr Verhalten ändern. Damit ist der dokumentarische Wert des Fotos verloren. Oder anders ausgedrückt: Wenn Menschen wissen, dass sie fotografiert werden, dann grinsen sie dämlich.

Immer wieder ein interessantes Phänomen: Mit Hilfe einer gewöhnlichen Fotokamera lässt sich die Natürlichkeit der Fotografierten auf nahe null herunterfahren.

Espen Eichhöfer möchte nun ein Grundsatzurteil erstreiten und sammelt für die zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten auf Startnext. Auch wenn er das Ziel von 14.000 Euro bereits erreicht hat, sollte man ihn darüber hinaus unterstützen: So ein Rechtsweg kann langwierig und teuer sein.

Link: https://www.startnext.com/streetphotography

All das betrifft erstmal nur die Straßenfotografie. Und wer mag, kann all das natürlich als eine Orchideen-Diskussion abtun („Habt Ihr denn keine anderen Probleme!!11!drölf!??“). Aber der Fall Eichhöfer zeigt exemplarisch, wie kleinteilig – man könnte auch sagen: wie komplett kaputt – Recht und Gesetz im Bereich der Fotografie in der Öffentlichkeit sind.

Fotos in und von der Öffentlichkeit: eine vermeintlich kleine Debatte, die jedoch einen langen Schatten wirft (Aus der Reihe: Bildunterschriften wie aus der Kreiszeitung.)

Wer auf der Straße eine Kamera zückt, der versinkt prompt bis mindestens zum Auslöser in eine juristische Sumpflandschaft. Er bekommt es mit Persönlichkeitsrechten zu tun, mit Urheberrechten, mit Pressefreiheit, mit Kunstfreiheit – und mit deren jeweiligen Abwesenheiten: Ist die Person auf dem Bild erkennbar oder ist sie nur Beiwerk des Gebäudes dahinter? Unabhängig davon: Darf man das Gebäude überhaupt fotografieren? Und jene Person? Ist sie vielleicht eine der Zeitgeschichte? Immerhin hat sie ja ein Blog, glaube ich, oder? Was ist mit Demonstrationen? Mit Straßenfesten? Mit Konzerten? Wie verhält sich das Recht in Einkaufszentren? In Museen? Auf Sportplätzen? In der U-Bahn?

Was fehlt: eine Erleuchtung

Um die Sache noch zu verkomplizieren, unterscheidet das geltende Recht zwischen der Aufnahme eines Fotos und seiner Veröffentlichung: Wer sich zu Unrecht fotografiert fühlt, der darf vom Fotografen nicht – wie oft fälschlich angenommen – die Löschung dieses Bildes verlangen, sondern lediglich dessen Nichtveröffentlichung. Im Internet-Zeitalter ein eher theoretisches Recht.

Und weil das alles offenbar noch nicht ausreicht, den simplen Vorgang eines Fotoschusses auf das Kompliziertheitsniveau einer diplomatischen Depesche von Süd- an Nord-Korea zu heben, hat die Koalitionsregierung jüngst im Empörungswindschatten der Edathy-Affäre einen juristischen Schrotschuss abgefeuert, von dem jetzt noch gar nicht abzusehen ist, wie groß der Schaden für den fotografierenden Teil der Bevölkerung sein wird.  So heißt es im neuen § 201a Abzatz 2, dass künftig bestraft wird,

„… wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.“

Unschärfere Formulierungen konnte der Gesetzgeber offenbar gerade nicht auftreiben: Fügen also beispielsweise die getwitterte Aufnahmen einer betrunkenen Person dem Ansehen ebendieser erheblichen Schaden zu? Auch im Karneval? Was ist mit Menschen, die sich auf Fotos einfach schlecht getroffen fühlen? Die sich auf Bildern zu dick, zu alt, zu hässlich finden?

Fügt dieses Foto dem Ansehen der darauf abgebildeten Person Schaden zu? Vielleicht sogar erheblichen? Wer entscheidet das? Ein Anwalt? Ein Richter? Die Person selbst?

Auf Spiegel Online stellt der Medienrechtsanwalt Thorsten Feldmann die Frage nach einer Auswirkung dieses seltsamen Schnellschussgesetzes auf die Berichterstattung über Zeitgeschichte:

„Dürften Medien noch immer das berühmte Hitlergruß-in-durchnässter-Jogginghose-Foto aus Rostock-Lichtenhagen veröffentlichen? Das stellt den Fotografierten ja in jedem Fall bloß.“

Zurück zu unserem Fotografen auf der Straße: Bevor der nun auf den Auslöser drückt, muss er sich als gesetzestreuer Bürger eigentlich all diesen genannten juristischen Klumpatsch durchs Hirn gehen lassen. Bleibt die Frage, wozu es Kameras mit immer schnellerem Autofokus gibt, wenn der Fotograf doch sowieso vor jedem Foto Stunden der Gesetzesmeditation in Paralyse verbringt.

Dieser Fotograf überlegt seit dreieinhalb Tagen, ob der Schnappschuss, den er vorhat, juristisch einwandfrei ist

Diese undurchsichtige und unabwägbare Rechtslage führt im Alltag zu einer Art gefühltem Recht. Der öffentliche Raum quillt über vor Aussagen, nein, meistens eher Ausrufen wie: „Du darfst hier nicht fotografieren“, „Du darfst mich nicht fotografieren“, „Du darfst mein Kind nicht fotografieren“, „Du darfst mein Haus nicht fotografieren“, „Du darfst mein Auto nicht fotografieren“, „Du darfst meinen Hund nicht fotografieren.“ Das ist zwar meistens Bullshit, aber darüber darf man sich nicht wundern: Wo die Eindeutigkeit fehlt, da wuchert die Esoterik.

Mensch mit Massenmedium: Wie das geltende Recht sich die Rezeption einer Veröffentlichung vorstellt

Aber es ist in Wahrheit alles noch viel schlimmer: Alle oben angesprochenen Gesetze, Rechte, Regelungen, Stolperfallen und Tretminen stammen noch aus der vordigitalen Zeit, aus einer Ära, als die „Veröffentlichung“ eines Fotos noch „Zeitung“ oder „Zeitschrift“ bedeutete, als sie die Ausnahme war und nicht die Regel. Aus einer Zeit, als noch nicht jeder Mitmensch eine Fotografiermaschine mit eingebauter Publikationstaste permanent in den Händen hielt.

Fotografie im Jahre 2015 ist viel mehr als Kunst, als Dokumentation oder als Journalismus – Fotografie ist Kommunikation. Menschen schießen Selfies und mailen sie im gleichen Moment an Freunde, oder sie kleben sie an ihre Facebook-Wand. Sie fotografieren sich in Umkleidekabinen und sie lassen ihre Freunde mitentscheiden, ob ihnen die Kleidung steht. Sie fotografieren Konzertplakate als Gedächtnisstützen und ihr Mittagessen einfach nur so. Sie knipsen U-Bahn-Haltestellen und die dort Wartenden für Instagram, U-Bahn-Mitfahrer für Twitter, Katzen in der U-Bahn für Facebook und sie veröffentlichen den U-Bahn-Fahrplan auf Flickr, für ihre Freunde, die nächste Woche zu Besuch kommen. Ob dabei irgendwelche Personen mit auf den Bildern zu sehen sind und wie groß oder klein – Kollateralmotive sozusagen: who cares?

Fotos zu publizieren, für kleine oder größere Öffentlichkeiten, ist 2015 so alltäglich wie die Ich-komme-etwas-später-SMS es 1995 war. Wer mag, darf jetzt eine Gerätegeneration weiterdenken, in Richtung Datenbrillen und sonstiger Wearables, die schon bald so selbstverständlich sein werden, wie es heute Smartphones sind. Sie bringen mit: Fotos per Sprach- oder Augenblinzel-Steuerung und wer weiß was noch.

Und dann wären da auch noch Lifelogging-Devices, kleine ansteckbare Geräte, die automatisch den Alltag des Nutzers in Fotoserien dokumentieren – und diese ins Web laden. Willkommen in der Ära der Dauerfeuer-Fotografie-Publikation.

Selfie: Fotografie ist Kommunikation

Fotografie ist Kommunikation. Jede Regel, jedes Gesetz, das heutzutage Fotografie im öffentlichen Raum betrifft, betrifft unser aller Kommunikationsvermögen. Fotografieverbot heißt somit Kommunikationsverbot oder metaphorisch: Sprechverbot. Zur Erinnerung: Wir reden hier über den öffentlichen Raum, einen Ort, der eigentlich ein Ort des Austausches, der Kommunikation sein sollte.

PadHead, knipsend: Fotografie ist Kommunikation

Ich bin davon überzeugt, dass in Sachen Fotografie im öffentlichen Raum all das rechtliche Gezerre um Kunst- und Pressefreiheit auf der einen Seite und um Urheber- und Persönlichkeitsrecht auf der anderen um Lichtjahre zu kurz greift. Nur Juristen freuen sich über solch ein bröseliges Ordnungssystem, das ihnen immerzu neue Einzelfälle beschert, über einen Rahmen, in dem sie allein entscheiden dürfen, was denn nun Kunst ist, wie weit das öffentliche Interesse heute mal gehen darf, welche Intention wahrscheinlich mit einer bestimmten Fotografie verbunden war und wie akzeptabel das Ablichten einer Person genau dann ist, wenn sie drei Zwölftel eines Bildes ausfüllt. Juristen finden das toll, denn davon leben sie schließlich. Bürger können dabei nur verlieren: Zeit, Nerven und Geld.

Noch n Selfie. Denn: Fotografie ist Kommunikation

Wir werden im Laufe dieses Jahrzehntes nicht darum herum kommen, klar zu definieren, was uns als Gesellschaft der öffentliche Raum bedeutet und wie öffentlich wir ihn denn gerne haben wollen. Die Fotografie-Debatte ist dafür ein hübscher Auftakt.

Wenn jeder einzelne Bürger seine Privatsphäre mit nach draußen nimmt und erwartet, dass sie dort unberührt bleibt, dann ist der öffentliche Raum nicht öffentlich, und dann ist es auch kein Raum, sondern allerhöchstens ein Strom aus einzelnen Privatschollen.

Wenn wir einerseits Überwachungskameras im öffentlichen Raum akzeptieren, andererseits fotografierende Menschen aber nicht, wenn wir also gefühlte Sicherheit über gelebte Kommunikation stellen, wenn wir mithin Kameras zwar als Abschreckung zulassen, als Kunst- und Kommunikationswerkzeuge jedoch nicht, dann sind wir gesellschaftlich auf einer ziemlich schiefen Spur.

Photo shooting can be fun

Zurück zum Anfang: In den klagefreudigen USA wäre ein Fall wie der von Espen Eichhöfer undenkbar: Dort darf man jeden Menschen fotografieren, der sich im öffentlichen Raum aufhält. Einfach so. Mir ist nicht bekannt, dass diese Regelung dort zu irgendwelchen nennenswerten, gesellschaftlich negativen Auswüchsen geführt hätte. Nur mal als Gedankenanstoß.

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