In Causway Bay, einem dieser glitzernden Einkaufsbezirke der an glitzernden Einkaufsbezirken nicht armen Stadt Hong Kong, zeigte mir ein Freund einmal einen versteckten Buchladen: durch einen völlig unscheinbarer Eingang zwischen einer Parfümerie und einem Make-Up-Store, einen engen Flur entlang, mit Hinweisen an den Wänden auf ein „Adult Cinema“, das sich wohl irgendwo im Gebäude befand, dann eine steile Treppe hoch in den ersten Stock.
Der ganze Laden war vielleicht 50, höchstens 70 Quadratmeter groß, vollgepackt mit Büchern in chinesischer Sprache. Der „People’s Bookstore“ richtete sich an Besucher vom chinesischen Festland und bot ihnen Literatur und Sachbücher, die in der Volksrepublik auf dem Index standen: Politik, Geschichte, Erotik, aber auch Klatsch und Verschwörungstheoretisches, wie mir mal jemand erklärte.
Ich bewunderte die Kunden in diesem Geschäft ein wenig. Aufgewachsen in einem totalitären System mit gelenkten Medien und propagandadurchsetztem Schulunterricht, ohne freies Internet und ohne eine freie Presse, hatten sie gemerkt, dass etwas nicht stimmte im System, dass etwas fehlte. Sie sind nach Hong Kong gereist, über eine Innerstaatsgrenze, in eine für sie fremde Stadt, in dieses kleine, versteckte Buchgeschäft, um das Fehlende zu suchen, um Informationen und Geschichten mit nach Hause zu nehmen, von denen ihre Nachbarn und Kollegen nichts wussten, nichts wissen durften. Kleine Helden.
Ich war vielleicht zwei, drei Mal dort, obwohl ich mangels Sprachkenntnissen mit den Büchern nichts anfangen konnten. Ich mochte die Stimmung, die Enge, mich rührten die unsicheren Blicke der Kunden, die möglicherweise eine Überwachungskamera oder einen plötzlich zwischen den Regalen hervorspringenden Geheimpolizisten fürchteten. Es gab eine Handvoll Buchgeschäfte dieser Art in Hong Kong, erfuhr ich, vielleicht ein halbes Dutzend. Ich war das letzte Mal 2017 da.