Tweeterklärung

Man soll ja keine Witze erklären und Tweets eigentlich auch nicht. Nach zwei Tagen Soldatenparty in meiner Mail-Inbox, gebe ich hiermit nun aber doch eine Tweeterklärung ab.

Obiger Tweet entstand am letzten Sonntag im völlig überfüllten ICE von Berlin nach Köln. In diesen Zug, in dem ein guter Teil der Reisenden stehen oder auf dem Boden sitzen musste, quetschten sich bei jedem Halt zusätzlich Soldat/-innen in Flecktarn-Uniformen und mit Ikea-Schrank-großen Feldrucksäcken hinein. Solche Situationen sind nun kein Zufall, sondern von der Bundesregierung mutwillig herbeigeführt: Seit Januar fahren Soldat/-innen der Bundeswehr gratis in allen Fernzügen der Deutschen Bahn – so oft und so weit sie wollen. Das Verteidigungsministerium zahlt für jede Soldaten-Bahncard-100 sage und schreibe 22 Euro an die Deutsche Bahn AG – im Jahr. Dass von diesen Kaffeekassebeträgen keine zusätzlichen Züge oder Strecken finanziert werden können, versteht sich von selbst.

Die Bahn ist nun sowieso schon finanziell am Limit, sie fährt auf Verschleiß und ist täglich kurz vorm Kollaps. Wer viel Bahn fährt, weiß das. In dieser Situation allein aus politischen PR-Gründen das einzige umweltfreundliche Fernreiseverkehrsmittel, das wir Bundesbürger besitzen, auch noch mit zusätzlichen 180.000 herumreisenden Soldaten zu belasten, ohne dafür auch nur wenigstens einen okayen Ticket-Preis zu entrichten, heißt nichts anderes, als den zahlenden Fahrgästen der Bahn noch mehr dauerhafte Ausnahmesituationen, noch mehr überlastete und verdreckte Züge zuzumuten. Wissentlich. Das ist meiner Meinung nach ein Skandal.

Nächster Gedanke: Die Soldat/-innen müssen, um in den Genuss dieser Freifahrten zu kommen, ihre Uniformen tragen, ganz so als kämen sie gerade vom Manöver oder aus dem Krieg – oder wären auf dem Weg dorthin. Das ist politisch gewollt, um die Akzeptanz von uniformierten Soldat/-innen in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Das wiederum ist nicht etwa eine Verschwörungstheorie, sondern wird vom Verteidigungsministerium offen zugegeben:

(Quelle)

Ich halte davon nichts. Aus Militarismus ist noch nie etwas Gutes entstanden. Das hat der eine oder die andere vielleicht im Geschichtsunterricht mitbekommen. Ich finde nicht, dass wir Soldatenuniformen in der Öffentlichkeit normalisieren sollten. Das habe ich auf Nachfrage ebenfalls getwittert:

Ja, liebe Soldaten und Soldatenfreunde, ich weiß, dass viele von Euch das nicht so deutlich hören wollen, dennoch: Natürlich ist der Kern des Soldatenberufs das Töten anderer Soldaten und nicht bspw. der Schutz der Bevölkerung vor Hochwasser o.ä., sonst hätten Soldat/-innen als Standardausrüstung vermutlich Klappspaten und keine Sturmgewehre und hießen in Summe nicht Armee, sondern Technisches Hilfswerk.

Zurück zum ersten Tweet: Jede/-r mit einem Textverständnis einer Viertklässlerin sollte nach der Lektüre begreifen, dass der Tweet in keinster Weise zum Hass aufruft, weder gegen Soldaten, noch gegen sonstwen. Der Tweet handelt genauso klar auch nicht etwa von meinem eigenen „kalten Hass“; ich hasse weder Soldaten noch sonstwen. Mein Tweet stellt vielmehr und allein die Frage, ob die oben beschriebenen Regelungen eine gute Idee sind oder ob sie vielmehr kalten Hass bei den genervten Mitreisenden
verursachen. Dieser Tweet ist somit eine Fragestellung, eine Hypothese oder wahlweise auch ein Debattenbeitrag zu einem politischen Projekt der Bundesregierung. Sowas in den Raum zu stellen, sollte in einer Demokratie selbstverständlich sein.

Die Bild-Zeitung machte daraus folgendes:

[Link zum Text]

Dass es der „Bild“-Zeitung nicht um die Wahrheit geht, zeigt schon die Überschrift: Ich bin nicht beim ZDF angestellt und war das auch nie. Ich bin freier Drehbuchautor, Filmemacher und Journalist. Das ZDF ist einer meiner Kunden. Um das herauszufinden hätte drei Minuten Googeln genügt. Aber wenn man die rechtsradikal-populistische Welle reiten will, ist es immer eine gut funktionierende Taktik, irgendwas mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk in die Meldung zu rühren. Das wissen „Bild“-Redakteure natürlich ganz genau.

Um meinen Tweet geht es aber längst nicht mehr. Die „Bild“ hat mich zum Soldaten-Hasser erklärt, und „Bild“-Leser folgen diesem Spin. Mitarbeiter und Fans der Bundeswehr verbreiten inzwischen offene Lügen und Diffamierungen über mich. So behauptet beispielsweise ein Bundeswehruniform-tragender „systemischer Coach für Kommunikation und Konfliktmanagement“ (LOL!) ich hätte Bundeswehrsoldaten „Mörder“ genannt. Das ist schlicht gelogen.

Die „Bild“ weiß genau, was sie tut und was sie auslöst. Aus meiner Abneigung gegen diese Publikation und ihre Mitarbeiter mache ich seit Jahren kein Geheimnis. Ich verachte dieses Blatt und die Unmenschlichkeit, mit der es täglich Lügen und Hass verbreitet, Karrieren und Leben zerstört. Dass die „Bild“ nun auch mich mit Halb- und Unwahrheiten bewirft und ihre Hass-Horden auf mich hetzt, war vermutlich absehbar. Und womöglich auch, dass die „Bild“ sich selbst so lustig findet, dass sie mich einen Tag später zum „Verlierer des Tages“ erklärt.

Mittlerweile ist auch Focusonline auf die Welle aufgesprungen und hat den „Bild“-Text praktisch abgeschrieben (Hallo? Leistungsschutzrecht?), außerdem hat das rassistische Hetzblog „PI-News“ (kein Link) ebenfalls seine Leser in meine Richtung geschickt. Einschüchtern lass ich mich davon aber nicht. Zu früh gefreut.

Davon abgesehen: Julian Reichelt! Deutschland wartet immer noch auch das Ergebnis Ihres Kokain-Tests! Wann kommt das?

Veröffentlicht von Mario Sixtus

Filmer, Autor, Journalist

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Autor: Mario Sixtus